Etwa eintausend Kilometer von Teheran entfernt, in Schiras lebt Afshin Motlagfard, ein Komponist für TRAIECT II. Wir haben ein Interview mit ihm geführt über seine Herangehensweise an das von ihm komponierte Stück. Das ist schnell in ein Gespräch über die Kernprinzipien der Existenz übergegangen.
Leider wird Afshin nicht im Hannover sein, wenn sein Stück uraufgeführt wird, so sagt er uns zu Beginn. Er wird also kein Augenzeuge sein, wenn sein Experiment vorgetragen wird. Bevor wir aber dazu kommen haben wir uns mit ihm über seinen Werdegang unterhalten.
Afshin hat im Iran für fünf Jahre Musiktheorie von Ali Radman gelernt. Anschließend belegte er eine fortgeschrittene Kompositions-Klasse bei Mehdi Kazerouni. Sein erster, ursprünglicher Fokus für das Komponieren begann mit der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, mit Komponisten wie Harry Partch. „Die Klänge waren eine Welt für sich. Man kann keine Strukturen suchen, die die Melodie formen und keine Aspekte finden, die sich selbst in Relation zur Melodie formen“, erklärt er und wenn er sein ursprüngliches Interesse an der Neuen Musik begründet. Dennoch lernte er nach dem erfolgreichen Erlernen dieses Genres in einem weiteren Studium die Strukturen älterer Musik kennen, inklusive Harmonielehre, Kontrapunkt und anderer Grundlagen. Warum ist er auf diese Art und Weise den Weg gegangen? „Ich bin die Art von Person, die die Dinge genau anders herum angeht als die meisten anderen Leute. Ich bin schnell ermüdet von Dingen die ich für eine längere Zeit mache. Ich versuche mich beständig zu rekonstruieren innerhalb meines Lebens.“
Das führt uns zu einem weiteren Punkt seiner kreativen Arbeit, der Motivation hinter seinem Schaffen. Afshin erklärt, dass er versucht zu verstehen, wie die Welt um ihn herum funktioniert. Durch das Erweitern seiner Limits und Grenzen lernt er mehr über eben diese Grenzen, die die Dinge formen. Dafür nutzt er die Musik. Der Komponist erklärt, dass es einen Satz gibt, der sein Schaffen entscheidend geprägt hat. Er stammt von Herbert Read: „‘Jede Kunst versucht an die Musik zu gereichen.‘ Alle anderen Künste versuchen also, die Abstraktion der Musik als Quelle zu erreichen. Für mich ist Musik Leben. Man lebt, während man komponiert und man komponiert während man lebt. Meine Musik expandiert, weil ich die Grenzen meines Wissens expandiere.“ Momentan ist er insbesondere am Phänomen der Zeit interessiert. Die Musik hilft ihm dabei, diesen Gegenstand besser zu verstehen, da sie selbst ein Produkt der Zeit ist. „Musik lässt einen Zeit wahrnehmen. Aber diese Erfahrung hängt vom Zuhörer ab, wie er zum Beispiel drei Minuten erlebt. Das Erleben hängt an der Kultur, der Stimmung, wie die Klänge geformt werden und vielen anderen Faktoren. Ich versuche es als eine Entität zu verstehen, die die Musik formt.“ Dabei übt er sich auch darin, die Bedeutungen zu eliminieren die an ein Phänomen geheftet sind. Dieser Schritt ist nötig, um den Kern der Sache zu begreifen. Ein Beispiel dafür ist der Tastsinn. Afshin erklärt es uns wie folgt: „Wenn Dich jemand auf der dunklen Straße berührt, erschrickst Du. Wenn Dich ein lieber Freund berührt, hat es eine andere Bedeutung, dann hast Du vielleicht ein warmes, geborgenes Gefühl. Aber die Berührung als Vorgang, die bleibt die gleiche. Was ich versuche ist, die Konzepte der Erfahrungen abzutrennen. Ich möchte sehen was übrig bleibt, wenn man den Sinn verwirft. Meine Frage an dieser Stelle ist: Wie kann ich ein weiteres Level des Sinns erreichen? Gibt es eine Stufe darüber?“ Das ist auch, warum er sich dem Konzept der Tradition nicht verbunden fühlt: Wenn der Sinn einer Sache verworfen wird, dann bleibt das auch fern einer Rekonstruktion der Tradition. Es ist schlicht nicht von Bedeutung. Dennoch ist er interessiert was ihm die Tradition geben könnte und wie er sie nutzen kann um sie für seine Zwecke einzuspannen. „Ich bin mir bewusst, dass die Oud einen großen traditionellen Hintergrund hat. Also habe ich mir das Instrument angesehen und versucht seine Essenz sowie den Klang, den es erzeugen kann zu begreifen. Dadurch ist es nicht besonders traditionell. Es ist nicht meine Aufgabe die Tradition zu reproduzieren, die vor mit existiert hat. Ich konzentriere mich darauf, mich selbst zu verstehen.“
Er entschied sich dafür, Raum durch verschiedene Aspekte des Klangs zu konstruieren. In diesem speziellen Stück ist es ein Tremolo, das das gesamte Stück formt. Die Oud und die vier Lautsprecher sind nicht getrennt. Die Elemente sollen sich in sich selbst auflösen, sodass es keinen erkennbaren Unterschied mehr gibt. „Ich möchte begreifen, was dem Menschen die Menschlichkeit gibt. Und was ihn von einem Computer unterscheidet. Die Grenze zwischen dem Spieler und der Elektronik sind daher sehr interessant für mich.“ Insgesamt hat Afshin das Stück sehr logisch und berechnend konstruiert. Die Längen der Abschnitte sind geplant. Dennoch denkt er dass die Antworten, die durch das Stück gegeben werden eher verschwommen sind. „Es wird sich wohl anhören wie ein langes Tremolo für vier Lautsprecher und einen Spieler. Die Dinge, die dort erschaffen werden sind Entitäten, die vorgetragen oder gehört werden können, ohne dass die Idee, die sie erschaffen hat besonders betont werden muss.“ Daher kann es sein dass die Intention dahinter verborgen bleibt. Für Afshin ist das kein Problem. Er erklärt dass er, als er das erste mal Xenakis hörte, ebenfalls keine Vorstellung davon hatte was der Komponist in das Werk eingebracht hatte. Es war für Afshin schlicht die Musik, die ihn faszinierte. Sein Stück dreht sich daher vor allem um den Klang. Es steht außerdem in einer größeren, kontinuierlichen Linie von Werken, die sich mit dem Konzept der Zeit beschäftigen. Das Projekt, zu dem er von Arsalan Abedian eingeführt wurde ist das zweite internationale seiner Karriere. Wir wünschen ihm viel Erfolg bei der Arbeit an seiner Reihe und sind gespannt wie sich das Stück anhören und welche Erkenntnisse es uns bringen wird.
Leider wird Afshin nicht im Hannover sein, wenn sein Stück uraufgeführt wird, so sagt er uns zu Beginn. Er wird also kein Augenzeuge sein, wenn sein Experiment vorgetragen wird. Bevor wir aber dazu kommen haben wir uns mit ihm über seinen Werdegang unterhalten.
Afshin hat im Iran für fünf Jahre Musiktheorie von Ali Radman gelernt. Anschließend belegte er eine fortgeschrittene Kompositions-Klasse bei Mehdi Kazerouni. Sein erster, ursprünglicher Fokus für das Komponieren begann mit der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, mit Komponisten wie Harry Partch. „Die Klänge waren eine Welt für sich. Man kann keine Strukturen suchen, die die Melodie formen und keine Aspekte finden, die sich selbst in Relation zur Melodie formen“, erklärt er und wenn er sein ursprüngliches Interesse an der Neuen Musik begründet. Dennoch lernte er nach dem erfolgreichen Erlernen dieses Genres in einem weiteren Studium die Strukturen älterer Musik kennen, inklusive Harmonielehre, Kontrapunkt und anderer Grundlagen. Warum ist er auf diese Art und Weise den Weg gegangen? „Ich bin die Art von Person, die die Dinge genau anders herum angeht als die meisten anderen Leute. Ich bin schnell ermüdet von Dingen die ich für eine längere Zeit mache. Ich versuche mich beständig zu rekonstruieren innerhalb meines Lebens.“
Das führt uns zu einem weiteren Punkt seiner kreativen Arbeit, der Motivation hinter seinem Schaffen. Afshin erklärt, dass er versucht zu verstehen, wie die Welt um ihn herum funktioniert. Durch das Erweitern seiner Limits und Grenzen lernt er mehr über eben diese Grenzen, die die Dinge formen. Dafür nutzt er die Musik. Der Komponist erklärt, dass es einen Satz gibt, der sein Schaffen entscheidend geprägt hat. Er stammt von Herbert Read: „‘Jede Kunst versucht an die Musik zu gereichen.‘ Alle anderen Künste versuchen also, die Abstraktion der Musik als Quelle zu erreichen. Für mich ist Musik Leben. Man lebt, während man komponiert und man komponiert während man lebt. Meine Musik expandiert, weil ich die Grenzen meines Wissens expandiere.“ Momentan ist er insbesondere am Phänomen der Zeit interessiert. Die Musik hilft ihm dabei, diesen Gegenstand besser zu verstehen, da sie selbst ein Produkt der Zeit ist. „Musik lässt einen Zeit wahrnehmen. Aber diese Erfahrung hängt vom Zuhörer ab, wie er zum Beispiel drei Minuten erlebt. Das Erleben hängt an der Kultur, der Stimmung, wie die Klänge geformt werden und vielen anderen Faktoren. Ich versuche es als eine Entität zu verstehen, die die Musik formt.“ Dabei übt er sich auch darin, die Bedeutungen zu eliminieren die an ein Phänomen geheftet sind. Dieser Schritt ist nötig, um den Kern der Sache zu begreifen. Ein Beispiel dafür ist der Tastsinn. Afshin erklärt es uns wie folgt: „Wenn Dich jemand auf der dunklen Straße berührt, erschrickst Du. Wenn Dich ein lieber Freund berührt, hat es eine andere Bedeutung, dann hast Du vielleicht ein warmes, geborgenes Gefühl. Aber die Berührung als Vorgang, die bleibt die gleiche. Was ich versuche ist, die Konzepte der Erfahrungen abzutrennen. Ich möchte sehen was übrig bleibt, wenn man den Sinn verwirft. Meine Frage an dieser Stelle ist: Wie kann ich ein weiteres Level des Sinns erreichen? Gibt es eine Stufe darüber?“ Das ist auch, warum er sich dem Konzept der Tradition nicht verbunden fühlt: Wenn der Sinn einer Sache verworfen wird, dann bleibt das auch fern einer Rekonstruktion der Tradition. Es ist schlicht nicht von Bedeutung. Dennoch ist er interessiert was ihm die Tradition geben könnte und wie er sie nutzen kann um sie für seine Zwecke einzuspannen. „Ich bin mir bewusst, dass die Oud einen großen traditionellen Hintergrund hat. Also habe ich mir das Instrument angesehen und versucht seine Essenz sowie den Klang, den es erzeugen kann zu begreifen. Dadurch ist es nicht besonders traditionell. Es ist nicht meine Aufgabe die Tradition zu reproduzieren, die vor mit existiert hat. Ich konzentriere mich darauf, mich selbst zu verstehen.“
Er entschied sich dafür, Raum durch verschiedene Aspekte des Klangs zu konstruieren. In diesem speziellen Stück ist es ein Tremolo, das das gesamte Stück formt. Die Oud und die vier Lautsprecher sind nicht getrennt. Die Elemente sollen sich in sich selbst auflösen, sodass es keinen erkennbaren Unterschied mehr gibt. „Ich möchte begreifen, was dem Menschen die Menschlichkeit gibt. Und was ihn von einem Computer unterscheidet. Die Grenze zwischen dem Spieler und der Elektronik sind daher sehr interessant für mich.“ Insgesamt hat Afshin das Stück sehr logisch und berechnend konstruiert. Die Längen der Abschnitte sind geplant. Dennoch denkt er dass die Antworten, die durch das Stück gegeben werden eher verschwommen sind. „Es wird sich wohl anhören wie ein langes Tremolo für vier Lautsprecher und einen Spieler. Die Dinge, die dort erschaffen werden sind Entitäten, die vorgetragen oder gehört werden können, ohne dass die Idee, die sie erschaffen hat besonders betont werden muss.“ Daher kann es sein dass die Intention dahinter verborgen bleibt. Für Afshin ist das kein Problem. Er erklärt dass er, als er das erste mal Xenakis hörte, ebenfalls keine Vorstellung davon hatte was der Komponist in das Werk eingebracht hatte. Es war für Afshin schlicht die Musik, die ihn faszinierte. Sein Stück dreht sich daher vor allem um den Klang. Es steht außerdem in einer größeren, kontinuierlichen Linie von Werken, die sich mit dem Konzept der Zeit beschäftigen. Das Projekt, zu dem er von Arsalan Abedian eingeführt wurde ist das zweite internationale seiner Karriere. Wir wünschen ihm viel Erfolg bei der Arbeit an seiner Reihe und sind gespannt wie sich das Stück anhören und welche Erkenntnisse es uns bringen wird.
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English version:
Afshin Motlaghfard: Oud
About a thousand kilometers from Tehran, in the city of Shiraz lives Afshin Motlaghfard, a composer for TRAIECT II. We did interview him on his approach to the piece he writes for the project and quickly turned towards a chat about the core principles of existence.
Unfortunately Afshin is not going to be in Hanover when his piece will be staged, he tells us at the beginning. So he won’t be a live witness when his experiment will take place. Before we come to the piece, we talked about his origins.
Afshin studied music theory in Iran from his teacher Ali Radman for five years. He then took an advanced composition class for two years at Mehdi Kazerouni. His initial interest in composing started with music from the 20th and 21st century with composers like Harry Partch. “The sounds were a world for their own. You cannot search for structures which form the melody and the aspects that shape themselves in relation to this phenomena”, he tells us when he describes why his interest in contemporary music started. However, after his studies on this genre he started to learn older music, harmony teachings, counterpoint and other basics. Why did he chose it this way around? “I am a kind of person who does the things the other way around than the most people. I get tired of things that I make for a long time. I am constantly trying to reconstruct myself in my lifetime.”
That leads us to another aspect of his creative work, the purpose and motivation behind it. Afshin says that he tries to understand how the world around him works. By expanding his limitations and borders he learns more about the borders that shape everything. For this he chooses to view it through music. The composer explains that there was a very coining sentence for his life, written by Herbert Read: “‘Every art tries to reach itself to music.’ All other arts try to reach for the abstraction of music as a source. Music is life for me. You live as you compose and you compose as you live. My music is expanding because I am expanding the borders of my knowledge.” Right at the moment he is especially interested in the concept of time. Music helps him to understand it better because it is a product of time. “Music lets you experience it. But it depends in the listener how he will, for example, experience three minutes. It depends on the culture, on the mood, on how these sounds have been shaped and a lot of other factors. I try to apprehend it as an entity that shapes the music.” By that he also tries to eliminate the meanings that are attached to a phenomena, to comprehend the core of the phenomena itself. An example for this is the sense of touching: “When someone on a dark street touches you, you get afraid. If a dear friend touches you it has another meaning, you may get a warm and welcome feeling. But the touching itself is similar. What I am trying to eliminate are the concepts of experiences and see what is remaining. When I compose music, I want to see what remains after I eliminated the meaning. My question here is: How can I reach another level of meaning? Is there another layer above it?” This is why he also does not relate to the concept of tradition: By eliminating meaning he also stays away from reconstructing tradition. It is not of importance. Still, he is interested in what the tradition gives him and how he can manage to reform it for the purpose he pursues. “I am aware that the oud has a lot of traditional background. So I looked into this instrument and tried to understand its essence and the sound that it can create. Therefore it is not very traditional. It is not my concern to reproduce the tradition that has existed before me, I concentrate on understanding myself.”
He did chose to construct space with different aspects of sound. In this particular case it is a tremolo which shapes the whole piece. The oud and the speakers are not divided. The elements should dissolve in themselves, so that there is no distinction. “I want to grasp what gives a human humanity. And what differentiates it from a computer. The border between the performer and the electronics are especially interesting for me.” Overall Afshin did construct the piece very logical and calculated a lot of the duration of the different parts. Still he thinks that the answer gained by listening to the piece will be rather blurry. “It will be heard as a large tremolo for four speaker and a performer. The things that are created are some entities that can be performed or heard without the emphasis on the idea that has created it.” So the intention behind it might remain hidden. For Afshin this is not an issue. He explains that when he first listened to Xenakis he didn’t know about the ideas the composer had done in his work. It was the music that fascinated him in the first place. His piece is all about sounds. The piece for the project, to which he was introduced by Arsalan Abedian, stands in a bigger, continuous line of understanding the concept of time. In terms of international projects this is his second one. We wish him good luck on working on his series and are curious what the piece will sound like and reveal for every one of us.
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