Montag, 22. Oktober 2018

Dilxat Dawut

Aus dem Nordwesten von China, genauer Ürümqi in der Provinz Xinjiang kommt Dilxat. Er sprach mit uns über seine Tradition und das Komponieren für TRAIECT II.

Zu Beginn des Interviews wird schnell klar, dass die iranische Tradition und Kultur mit derjenigen, in der Dixat aufgewachsen ist, sehr ähnlich ist. „Ich bin Uigure. Wir haben unsere eigene Sprache und Kultur. Außerdem gibt es bei uns die weit verbreitete Musikform, die 12 Makham genannt wird. Sie klingt sehr ähnlich der iranischen.“ Uiguren sind ein Turkvolk in Zentralasien.
Dilxat ist der Sohn eines Komponisten und einer Tänzerin, weshalb er schon früh im Leben viel Kontakt mit verschiedenen Künsten hatte. In der Oberschule entdeckte er seine Leidenschaft für das Komponieren. „Ich wollte die Ideen und Sounds, die ich im Kopf hatte in die Realität umsetzen. Ich wusste damals noch nicht viel über Musik, aber ich wollte meine eigene schreiben.“ Das führte ihn zu einem Bachelorstudium in Shanghai, wo er fünf Jahre lang studierte. Er ist jetzt Masterstudent an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Der Student erklärt uns, dass die Vermittlungsarten des Kompositionsunterrichts unterschiedlich sind: „In Shanghai bekommt man einen Auftrag, in dem steht was man zu komponieren hat. Hier in Hannover gilt das Prinzip: Folge Deinem Herzen. Irgendwie fühle ich mich darin noch wie ein Anfänger aber ich bin hoch motiviert.“ Im Bachelor hat er ausschließlich traditionelle und klassische Werke geschrieben. Später hörte er zeitgenössische Musik und verstand sie erst einmal nicht. Das wiederum war der Grund, warum sie für ihn so anziehend wirkte. Sein Lehrer gab ihm daraufhin mehr Material, das er sich anhörte. Für Dilxat war das wie eine Brücke, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpfte. „Wenn Du zu viel traditionelle Musik hörst möchtest Du etwas Neues finden. Etwas, das Du verbessern kannst. Das habe ich in der Neuen Musik gefunden.“
Dabei drängt sich die Frage auf, was Neue Musik für ihn denn ist. Zunächst: Es ist neu und zur selben Zeit ist es genau das nicht, antwortet er. Man kann eine Menge neue Klänge und Techniken finden. Es gibt keine Grenzen. Aber zur selben Zeit ist die Neue Musik eine Nachfahrin der Tradition. Ohne die Tradition gäbe es keine Neue Musik. Auf die Frage, was dementsprechend Tradition ist, meint er: „Es ist eine sehr natürliche Musik. Es sind die Muster, die Menschen aus sich selbst heraus formen. Daher ist die Geschichte der Tradition so alt wie die Menschheit. Es kommt von innen, es ist das, was die Menschen eben machten und machen.“ Wenn er über die Rolle der Neuen Musik in der Gesellschaft nachdenkt, erklärt Dilxat dass für ihn Komponisten wie Wissenschaftler sind, die etwas Neues finden wollen. Insbesondere in Deutschland hat das ein großes Publikum, während sich das Verständnis dafür in China erst noch entwickelt. Zeitgenössische Musik ist die Verbindung, die alle Menschen eint, weil sie keine Grenzen hat. Auch auf diese Weise ist es eine Brücke, was uns zu der Metapher zurückbringt: Die Brücke muss stabil sein, andernfalls herrscht Chaos. In TRAIECT ist der wichtigste Teil der Brücke die Verknüpfung zwischen dem Instrument und der Elektronik. „Das Aufregende ist, dass man neues Klangmaterial in einem alten Instrument findet. Das ist das eine. Außerdem kann man traditionelle Melodien transformieren. Für mich ist es darüber hinaus eine Freude, die Tradition in einem neuen Stück zu verstecken. Wie ich schon gesagt habe: Es ist Neue Musik, aber es ist nicht ausschließlich neue Musik.“
Er nimmt an TRAIECT teil, weil er etwas für das Tanbur schreiben wollte. Uiguren haben ein sehr ähnliches Instrument, das etwas größer ist und mehr Saiten hat. Insofern kennt er sich gut mit dem Tanbur aus. „Die Traditionen sind sehr ähnlich, das haben wir ja schon festgestellt. Ich musste daher einfach teilnehmen. Ich mag den Klang des Tanbur sehr gerne und wollte damit herumspielen, mit der Elektronik den Sound verbessern und verändern. Ich wollte sehen, was passiert und von diesem alten Instrument lernen.“ Und worüber wird das Stück gehen? Es gibt eine menge interessanter Klänge und Sound Effekte im Tanbur, die bereits entdeckt wurden. Gleichzeitig ist es faszinierend, wo neue Klänge produziert werden können: Direkt hinter der Brücke des Instruments ist ein Punkt, an dem es möglich ist mit Holz oder Metall zu experimentieren. Außerdem gibt es viel, was man mit den Saiten anstellen kann. Dilxat versucht das in eine Notenschrift zu bringen. Das Stück wird möglicherweise „Blossoming“ (Erblühen) genannt werden, denn es ist wie die Wiedergeburt einer Blume: Zuerst startet sie mit einem kleinen Samen, das erste Wachstum ist kaum spürbar. Aber wenn es fertig ist, erblüht die Blume, wenn auch nicht für lang. „Für mich ist das auch der Prozess, der die Vergangenheit mit der Zukunft verknüpft. Ich möchte das Erblühen auf eine uigurische Art zeigen. Ich weiß nicht was passieren wird, aber ich werde mein bestes geben.“ Im November werden wir dann sehen, wie sich dieses Erblühen anhört.




















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English Version

Stemming from the northwest of China, Ürümqi, located in the province of Xinjiang, Dilxat talks with us about his tradition and the writing for TRAIECT II.

At the beginning of the interview it becomes clear very quick that the Iranian tradition and the tradition of Dilxats people is quite similar. “I am an uyghur. We have our own language and culture. We also have a very big music form called 12 Makham, which is pretty similar to the traditional Iranian one.” Uyghurs are the descendants of a turkic people in central asia.
Dilxat is the son of a composer and a dancer, and because of that he had contact to arts early in his life. It was in high school when he discovered his own passion for writing music. “I wanted to make the ideas and sounds I had in my head into a real thing. I didn’t know much about music but I knew that I wanted to write my own.” This lead him to his bachelor studies in Shanghai where he studied for five years. Now he is in his master class at the Hanover University for Music, Drama and Media. He explains that the approaches to teach composition are very different: “In Shanghai, you get an assignment what to do and what to compose. In Hanover there is only the principle of follow your heart. Somehow I still feel like a rookie with this but I am highly motivated.” In his bachelor times he did only write traditional and classical works. At some point he started to listen to contemporary music and did not understand it. That was also the reason why it was so attractive for him. His teacher gave him more material to listen to. For Dilxat, this was like a bridge which connected the past with the future. “If you listen to much traditional music, you want to find something new, something you can improve. I did find this in New Music.”

So what is New Music for him? First of all: it is new and at the same time it is not. One can find a lot of new sounds and techniques there. There is no limit. But at the same time New Music is a descendant of tradition. Without tradition there would be no New Music, he says. We ask him, what tradition is: “It is a very natural music. Just what people came up with, it has a long history. It comes from the inside, it is what people do.” When he speaks about the role of New Music he explains that the composers are like scientists, they want to find something new. Especially in Germany this finds a big audience, while for example in China this needs more time to develop, he adds. Contemporary music is a connection that connects all the people because it does not have borders. So again, it is like a bridge and we come back to this metaphor: The bridge has to be very stable, otherwise there will be chaos. In TRAIECT, the most important part of the bridge is the link between the instrument and the electronics. “The exciting thing is that you can discover new sound material in a traditional instrument. That’s the one thing. The next step is to use the sounds with the electronics and to again create something new. Also you can transform traditional melodies. For me it is also delightful to hide tradition in the new piece. As I said: it is New Music, but it is not completely new music.”
He participates in TRAIECT because he wanted to write something for the tanbur. Uyghures have a very similar instrument, which is a little bit bigger and has more strings. The instrument is well known to him. “The traditions are very similar, I just had to participate. I like the sound of the tanbur and I wanted to play around with the electronics to improve and change the sound. I wanted to see what happens and learn from this old instrument.” So what will the composition be about? There are a lot of interesting sounds and sound effects that he already discovered in the tanbur. It is fascinating where new sounds can be produced: right behind the bridge of the instrument there is a spot where it is possible to work with wood or metal to get a new sound. Also a lot of things can be done with the strings. Dilxat is trying to fit this into a score. The piece will probably be called blossoming because it is like the rebirth of a flower: First it starts with a very tiny bit of seed, the first growing is hard to recognize. But once done, the flower blooms, even if it isn’t for long. “For me that is also a process that connects the past and the future. I want to try to present the “Blossoming” in Uyghurs way. I don’t know what will happen but I will try my best.” In November we are all gonna see how this blossoming will sound like.

Dienstag, 16. Oktober 2018

Shadi Kassaee

Shadi, gebürtige Hamburgerin und Kompositionsstudentin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover schreibt in TRAIECT II ein Stück für die Oud. Wir haben uns mit ihr über ihre Perspektive auf das Projekt gesprochen.

Mit 19 Jahren ist Shadi die jüngste Komponistin des Projekts. Sie hat ihr Studium im Oktober 2017 begonnen und war davor Schülerin. Sie hat schon früh mit dem Komponieren am Klavier begonnen, zuerst beinahe unbewusst: „Ich war nie ein Fan von Notenlesen. Die Stücke habe ich lieber per Gehör nachgespielt und dann meine eigene Weiterentwicklung davon gespielt. Anfangs war das Improvisation, einige Jahre später habe ich meine Versionen aufgeschrieben.“ Begonnen hat es mit dem intensiveren Klavierspiel ab dem achten Lebensjahr. Mit zwölf Jahren kamen weitere Instrumente hinzu, für die dann auch Stücke komponiert wurden. „Mir gefiel die Freiheit, die Melodien zu gestalten“, sagt sie wenn sie an den Ursprung ihrer Lust am Komponieren zurückdenkt. Natürlich wollen wir auch wissen, wie Shadi zur Neuen Musik gekommen ist. Sie erklärt uns, dass das in der Zeit begann, in der sie auch anfing für andere Instrumente als das Klavier zu schreiben. Die neuen Melodien, Klänge und Geräusche, die sich für die Instrumente schreiben ließen haben sie fasziniert. „Außerdem habe ich auf Workshops und in den Bundeswettbewerben viele Eindrücke gesammelt. So bin ich dann irgendwie in diese Richtung geleitet worden“ erzählt sie. „Meine Stücke waren schon immer so ein wenig anders. Es ist schwer zu sagen, wie die Stücke damals geklungen haben aber ich beschreibe sie mal als Mischung aus westlicher und orientalischer Musik. Das liegt daran, dass meine Eltern aus dem Iran kommen und ich eine familiäre Prägung zur orientalischen Musik habe.“ Letztere hört sie auch heute noch gerne. Auf die Frage, ob Shadi mit einem kulturellen Background schreibt antwortet sie, dass das vor allem früher der Fall war. Jetzt kommen mehr Eindrücke dazu, von denen sie sich inspirieren lässt. Meistens, so sagt die Komponistin merkt sie erst nach dem Komponieren, dass sie mit einem traditionellen Hintergrund geschrieben hat. In TRAIECT will sie aber bewusst damit umgehen.
Das ist auch einer der Gründe, warum sie im Projekt ist. Die Verknüpfung von vertrauten traditionellen Instrumenten mit der Elektronik, das ist eine interessante Aufgabe. „Gleichzeitig entdeckt man die Instrumente neu. Daher freue ich mich auch auf die Zusammenarbeit mit der Instrumentalistin, denn ich habe wegen der neuen Möglichkeiten noch einige Fragen, was man ausprobieren kann. Mich interessiert, wie die anderen Komponisten das umsetzen werden.“ Shadi hat bereits in Projekten mitgewirkt, in denen ähnlich wie in TRAIECT der Komponist mit den Instrumentalisten zusammen arbeitet. In diesem Projekt ist die Elektronik aber eine neue Komponente.

Grundsätzlich kann man in der Neuen Musik mehr Freiheiten ausleben, so erklärt sie ihre Sicht auf das Genre. Es gibt eine große Auswahl an Klängen, Experimenten und Möglichkeiten Stile zu kombinieren. Im Gegensatz dazu steht die Tradition fest, hat feste Grenzen. Als Komponistin möchte sie stets unterschiedliche Aspekte ausdrücken: Gefühle und Konflikte sind aber im Hintergrund immer dabei. „Mit der Neuen Musik kommt man näher an den Zuhörer heran, sie ist ausdrucksstärker. In diesem Projekt wird es schwierig, weil man beide Bereiche, also Tradition und Neue Musik verbinden will. Ich habe sehr viele Ideen, mein Fokus liegt momentan dabei, das Instrument und die Elektronik zusammen zu bringen. Oft hat man da eine Idee und denkt: ‚Das passt perfekt zusammen!‘ und sobald es ins Detail geht stellt man fest: ‚Irgendwie passt das gar nicht‘. Im Groben kann man also eine Brücke bauen, im Detail ist das gar nicht so einfach. Man kann die Bereiche nicht einfach aneinander ‚kleben‘, man muss sehen wo es zusammen passt.“ Die Tradition, so erklärt sie, ist etwas das den Charakter des Instruments trifft. Die Oud ist ein traditionelles Instrument und wenn man damit versucht etwas Neues zu kreieren dann ist das auch ein ganz anderer Umgang mit dem Instrument. „Ich will versuchen, den Charakter des Instruments wie man ihn aus der Tradition kennt in der Neuen Musik zu zeigen. Also in der Tradition bleiben aber genau damit etwas neues ausprobieren.“ In der Komposition wird es daher klanglich eher traditionell bleiben, mit Hilfe der Elektronik und neuer Klänge wird etwas neues entstehen. Innerhalb der Komposition ist noch einiges offen. Die Grundidee ist Repetition, sowohl im Spiel des Instruments als auch von Seiten der Elektronik. Shadi hat bereits früher ein Werk für Gitarre komponiert, an das sie in manchen Punkten anknüpft, was nicht zuletzt an der Ähnlichkeit der verwendeten Instrumente liegt. Ein Konzept, nämlich der Ablauf westlich – orientalisch – Verwirrung könnte wieder eine große Rolle spielen. Allerdings wird ein Teil der Herausforderung sein, zu sehen wie die Oud auf die Elektronik reagiert und wie man damit umgeht. Wir wünschen schon einmal viel Erfolg bei der weiteren Arbeit an der Verknüpfung der Gegensätze und freuen uns auf die Umsetzung im Konzert.



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English version:

Shadi was born in Hamburg and is currently studying composition at the Hanover University for Musik, Drama and Media. She is going to write a piece in TRAIECT II for the oud. We did talk with her about her perspective and the project.

With 19 years Shadi is the youngest composer of the project. She began to study in october 2017 and was a pupil before. She did begin to compose for piano early, nearly unconsciously: “I never had been a fan of reading scores. So I played the pieces I had to learn by listening to them. Based on that experience, I sometimes continued to develop them further. At the beginning this was improvisation, a few years later I wrote down my own versions.” All began with the intensified learning of the piano at the age of eight. At the age of twelve, more instruments were added to the learning, and she continued to write pieces for the new ones too. “I liked the freedom to form the melodies”, she says when she thinks back to the beginning of her passion for composing. Of course we want to know how Shadi came to New Music. She explains that in the time where she started to write for other instruments than the piano, she also began to write new melodies. Also sounds and noises were of interest for her. “On top of that I collected a lot of experiences and ideas at competitions. Somehow I got into this genre” she says. “My pieces were a little bit different, have always been. It is difficult to express how the pieces sounded back then but I like to describe them as a mixture between western and middle eastern music. My parents come from Iran and therefore I am a bit coined when it comes to middle eastern music.” She likes to listen to this music to date. When asked if she composes with a traditional background she answers that this has been the case in former times. Now more and more impressions come together from which she is inspired. In most cases she discovers only afterwards that she had been composing with a traditional background. In TRAIECT she wants to handle this more deliberately.
Which is one of the reasons why she is taking part in the project. The linking between known traditional patterns and electronics is a very interesting task. “At the same time you get to know the instruments at a whole new level. I am looking forward to work together with the instrumentalist because I have questions that appeared due to the new possibilities. I want to ask her what we can try on the oud. Also I am very excited about what the other composers are going to do in their pieces.” Shadi did already work in projects similar to this one. The factor of electronics is something new though.
One can basically live more freedoms in New Music, she explains when talking about the genre. There is a broad range of sounds, experiments and possibilities to combine different styles. In the opposite, tradition stands still, has solid borders. As a composer Shadi likes to express different things but feelings and conflicts do always play a role. “You can get closer to the listener by using New Music, it is stronger in expressing itself. It is difficult in this project, because I want to connect tradition and New Music. So I have a lot of ideas, my focus is to bring the instrument and the electronics together. A lot of times you have an idea and be like: ‘This fits perfectly together!’ and when looking in detail how it might work you discover that it is very difficult and not so easy to combine. You can’t just ‘glue’ the different parts together, you have to look where it fits.” Tradition is something that is somehow the character of the instrument. The oud is a traditional instrument and trying to create something new for it results in a different way of use. “I want to try to show the character that is based in tradition through New Music. So to stay in the tradition but pick it up and form something new.” The piece therefore will be traditional, when it comes to sound but will create something new with the support of electronics. Within the composition there are a few things unclear. The basic idea is repetition, at the same time while playing the instrument as from the electronics. Shadi did already compose a piece for guitar earlier to which she wants to connect. This is also due to the similarities between the oud and the guitar. It might be that she will use a pattern, western – middle eastern – confusion, again to connect to existing pieces. But it depends on how the oud will react to the electronics and how she will handle it. We wish her good luck when she continues to work on the link between the opposites and are looking forward to hear it in concert.

Sonntag, 7. Oktober 2018

Örnólfur Eldon Þórsson



Örnólfur ist als Masterstudent in seinem zweiten Jahr an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Er schreibt ein Stück für Tanbur in TRAIECT II. Wir haben mit ihm über seine Ansichten und das Projekt gesprochen.

Er hat seinen Bachelor in seinem Heimatland Island studiert. “Ich bin etwas vorsichtig, wenn es um das Label ‚Komponist‘ geht. Im Moment bin ich ein Kompositionsstudent“, sagt er wenn er nach einer Definition seiner momentanen Tätigkeit gefragt wird. Im Allgemeinen mag Örnólfur es, an seinen Projekten und musikalischen Experimenten zu arbeiten. Schon früh im Alter von sieben Jahren begann er Cello zu spielen. Schnell zeigte sich, dass er die Stücke nicht mochte, die er spielen sollte. Sein Lehrer schlug ihm deshalb vor, seine eigenen zu schreiben. „Und genau das habe ich dann auch gemacht. Eines dieser Stücke habe ich in der Schule vorgespielt. Wenn ich jetzt zurückdenke, dann war es schon damals zeitgenössische Musik. Ungewohnte Techniken und Muster. Ich war mir damals nur nicht bewusst, dass es zeitgenössisch war.“ Im Anschluss lernte er Jazz-Gitarre. Jazz war eine Alternative, in dem Fall zur massentauglichen Popmusik. „Aber selbst im Jazz hatte ich dasselbe Problem. Die Musik blieb konservativ. Das hat mich genervt.“ Im Alter von 16 Jahren fuhr er damit fort, seine eigenen Stücke zu schreiben. Auch dort zeigte sich dasselbe Muster: Die Kompositionen der Romantik und der Klassik waren nicht zufriedenstellend. Deshalb suchte er nach etwas Anderem, was er im Repertoire des 20. Jahrhunderts und später fand. Mit 20 Jahren entschied sich Örnólfur, seine musikalische Leidenschaft zu studieren. „Es ist mir wichtig, neue Erfahrungen zu machen. Damit meine ich nicht, dass sie neu für die Welt sind, sie sollen einfach etwas anderes sein als das was man bis dahin schon gewohnt ist“, sagt er. Ist Komplexität ein wichtiger Faktor wenn es um diese Neuartigkeit geht? „Nicht unbedingt. Meine eigene Musik ist zum Beispiel sehr einfach. Das heißt aber nicht dass wenn es einfach ist auch entsprechend leicht zu schreiben ist. Das ist nicht der Punkt. Der Weg ist manchmal sehr schwierig und komplex, aber wenn man die Musik in einer Aufführung erlebt dann ist das ein eigener Prozess. Und plötzlich ist etwas das einfach oder leicht zu schreiben war eine sehr fordernde Hörerfahrung werden. Genauso ist es umgekehrt.“
Wie kommt Örnólfur zu TRAIECT? Er wurde gefragt, dafür zu schreiben. Dabei möchte er das Tanbur oder seine musikalische Tradition nicht meistern. Lieber eine Ahnung ergreifen, mit dem Eindruck arbeiten und sehen, welche Ergebnisse dabei herauskommen. „Das Tanbur ist ein sehr fragiles Instrument. Ich denke es ist schwierig, es mit Elektronik zu verändern. Außerdem, auf die Art und Weise wie ich die Tradition wahrnehme ist das ein sehr intimer Moment zwischen dem Spieler und dem Instrument. Ganz besonders wenn beide allein auf der Bühne sind. Wenn an dieser Stelle die Elektronik dazwischen kommt, dann kann es gefährlich werden.“ Örnólfur versucht dafür eine Lösung zu finden. Wie genau, das will er noch nicht verraten. Er hat bereits in anderen Projekten dieser Art mitgewirkt. „Es kann sehr fruchtbar sein, wenn die Instrumentalisten ihr Instrument vorstellen. Auf der einen Seite haben die Spieler viel Wissen über den Klangkörper, gleichzeitig wollen sie diesen immer weiter erforschen. Das ist die Basis auf der die Komponisten und den Instrumentalisten zusammen etwas neues entwickeln.“
Das führt uns zu der Frage, was Tradition und Neue Musik sind. Tradition ist etwas festgelegtes, das wie in einer Blase bewahrt wird. In Abgrenzung dazu ist zeitgenössische Musik offener und noch nicht festgelegt, geprägt von der Suche nach einer neuen, experimentellen Qualität. „Wenn sich beide Sachen vermischen wird die Tradition gebrochen. Das ist die Aufgabe der zeitgenössischen Musik“, sagt Örnólfur. „Neue Musik bringt neue Perspektiven und wirft ein anderes Licht auf bekannte Strukturen der Tradition. Gleichzeitig ist die Tradition wichtig, um in der Zeit zurück zu schauen und aus dem breiten Wissen zu lernen. Viele Experimente, die einst in der Neuen Musik gemacht wurden sind jetzt Teil der traditionellen Musik.“
„Das Problem beginnt, wenn zu einer bestimmten Zeit die Perfektion verkündet wird. Dann ist eine weitere Entwicklung gestoppt. Aber es ist nur wie ein Foto, ein geschützter Moment.“ Wobei es so etwas wie Perfektion nicht gibt, sagt er: „Wir haben möglicherweise den Eindruck, dass die Zeit in bestimmten Momenten still steht, aber generell geht sie doch weiter. Manchmal bekommen wir eine Ahnung davon, wie die Perfektion aussieht. Aber im Endeffekt wird sie nicht erreicht und es ist uns auch in diesem Moment bewusst, dass das nicht der Fall sein kann. Deshalb ist auch die Tradition in einem ständigen Wandel.“ Gibt es Möglichkeiten, die Gegensätze zu überbrücken? In seinem Stück sucht er nach abstrakten Konzepten, weit weg von den beiden Konstrukten. Das Spiel mit verschiedenen Stimmungen des Instruments, Proportionen und Stimmungslagen. Und wird das auf der Bühne zum ersten mal versucht? „Für mich muss das Experiment nicht auf der Bühne passieren. Die Erkenntnisse, die ich finde werden über die Noten transportiert.“ Wir bleiben gespannt, an was Örnólfur genau gedacht und was er konkret gefunden hat.




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English Version:

Örnólfur is a masters programme student in his second year at the Hanover University for Music, Drama and Media. He writes a piece for tanbur in TRAIECT II. We did talk to him about his thoughts and the project.

He studied his bachelor in his home country. “I am a bit careful when it comes to the label composer. At the moment I am a composition student”, he says if he is asked to settle for a definition. In general Örnólfur likes to work at his projects and musical experiments. Starting early with the age of seven, he learned to play cello. It was apparent pretty soon that he did not like the pieces that much that he had to play. His teacher suggested him to write his own pieces. “And so I did. One of these works I played at school. When I think about it now, it was contemporary music even back then. Uncommon techniques and patterns. I just wasn’t aware at the time that it was contemporary.” After that he succeeded to play Jazz-­‐guitar. Jazz also was an alternative, in this case to the mainstream Pop music. “But even in Jazz I was stuck with the same problem. The music stayed conservative. This bothered me.” In the age of 16 he continued to write his own pieces again. But again, the same pattern showed up: the compositions of the Romantic and the classicism weren’t to his satisfaction. He then started searching for something different, which he found in the repertoire of the 20th century and up until today. With 20 years Örnólfur decided for a study in his passion. “It is important to me to get new experiences, not in the sense that they have to be new to the world but something different than you are used to”, he says. Does complexity play an important factor when it comes to this? “Not necessarily. My own music for example is sometimes very simple, but it does not always mean that if its simple then it has to be easy. This is not the point though. The way is very difficult and complex from time to time when composing, but experiencing the music in a performance is a process of its own and suddenly something that was simple or easy to make can be an extremely difficult listening experience, and vice versa.”
How did he join TRAIECT? Örnólfur was asked to compose for it. He does not want to master the tanbur or its musical tradition. Rather just catch a glimpse of it, work with his impressions and see what results from that. “The tanbur is pretty fragile on its own. I personally think it is difficult to manipulate it with the electronics. Also, as I perceive the tradition, it is a very intimate moment between the player and the instrument, especially if they are alone together on the stage. When at this point the electronics start to interfere, it may get dangerous.” Örnólfur tries to find a solution for that. How exactly, he does not want to reveal yet. He has taken part in other projects in the past, in which instrumentalists present their instruments. "It can be very fruitful because on one hand the players have a lot of knowledge about their instrument, and the other they are always eager to explore it even further. This is a basis for the composer and instrumentalist to collaborate on developing something new together."
It leads us to the question what tradition and contemporary art are per definition. Tradition, he says, is something fixed, which is preserved like inside a bubble. In contrast to that, contemporary art is something more open and not yet defined, coined by a search for the new, for an experimental quality. "When both things merge, the tradition gets broken. This is the task of contemporary music", Örnólfur says. "New Music brings new perspectives and shines another light on known patterns of tradition. At the same time tradition is important to look back into history and learn from its vast knowledge. Many experiments that were once made in New Music have become a part of the traditional music."
"The problem occurs when at a certain time perfection has been announced, which stops a further development. But it is only like a photo, a moment preserved.” There is no such thing as perfection, he says: “We may have the impression that time stands still in certain moments but in general it continues. Sometimes we get a little glimpse of a perfection, a very short view on what it may look like. But in the end, it is not being achieved and this is apparent in the moment of the short glimpse. Which is why tradition is still part of a process." Are there possibilities to bridge the spheres? In his piece he searches for abstract concepts, far away from the two opposites. There are for example techniques at a higher level to deal with an instrument. The play with different tunings, proportions and moods. Is this going to be premiered on the stage? “For me the experiment does not have to take place on the stage. The things that I may find will be transported via the score.” We stay exited what Örnólfur did thought of and found.