Mittwoch, 2. Februar 2022

Farzia Fallah - this wet soil in my hand

 --English version below!--
 
Die vierte Komponistin, die wir im Rahmen dieses Blogs rund um TRAIECT III – Taiwan vorstellen möchten, ist Farzia Fallah. Wir haben ein Interview mit ihr per Videoanruf geführt. Wie gestaltete sich ihr Weg als Künstlerin und wie kam das Stücks „this wet soil in my hand“ in die Form, in der es uraufgeführt wurde?

Farzia wurde in Teheran geboren und spielte bereits während ihrer Schulzeit Klavier. Nach Ihrem Schulabschluss ging sie an die Universität – allerdings zunächst, um einen Bachelor in den Ingenieurswissenschaften zu erreichen. „Schon an der Schule hatte ich immer eine große Liebe für Mathe und Physik“, sagt sie. Doch durch ihren Klavierlehrer, Ali Gorji, kam sie dann zur teheraner Gruppe für Neue Musik. Von ihren Lehrer Alireza Mashayekhi, Komponist und einer der Gründer der Teheraner Gruppe für Neue Musik, erlernte sie die Harmonielehre, Kontrapunkt und viele weitere Fähigkeiten für die Komposition. Gleichzeitig spielte sie intensiv weiterhin Klavier. „Irgendwann war klar, dass ich weiter Musik machen wollte. Es war keine leichte Entscheidung für mich, ich habe mich durchaus mit Trauer von dem Ingenieursstudium getrennt.“ Doch Mashayekhis Eifer und Begeisterung als Lehrer überzeugten Farzia: „Ohne ihn wäre ich keine Komponistin geworden, das ist ganz klar. Er hat mir diese Motivation gegeben.“ So studierte sie im Anschluss in Deutschland Komposition, zunächst in Bremen bei Younghi Pagh-Paan und Jörg Birkenkötter. „Das war eine sehr wichtige Zeit für mich.“ Im Anschluss zog sie dann nach Köln und danach nach Freiburg, ihrem Lehrer Johannes Schöllhorn folgend. Inzwischen lebt sie als freischaffende Komponistin.
„Zeitgenössische Musik als Label für meine Musik war nie ein Thema“, so Farzia auf die Frage, warum sie in diesem Genre komponiert. „Ich habe immer das komponiert, was ich erschaffen wollte und mache das auch weiterhin so – das Ergebnis sind eben Stücke Neuer Musik.“ Dabei hängen alle ihre Werke zusammen, sie geht mit der gesamten Erfahrung der vergangenen Kompositionen in die neuen Stücke. „Trotzdem ist jedes Werk natürlich anders. Andere Besetzungen und vor allem eine andere Persönlichkeit ziehen sich durch die musikalischen Gedanken.“ Als Fokus ihres Interesses gibt sie Klang an. Damit sind wir bereits bei „this wet soil in my hand“, denn beispielsweise bei diesem Stück stand auch die Frage im Zentrum, welche Klänge damit entstehen können. Dass zum Beispiel die Zirkularatmung der Musikerin ganz andere Möglichkeiten ergibt als sonst. Und so soll auch der Schwerpunkt des Musikstückes auf der Musik bleiben. „Gleichzeitig bringt die Person, die die Klänge gestaltet, eine eigene Ebene in das Stück ein“, so die Komponistin.
Zum Projekt kam sie aus Neugier, vor allem getrieben durch das Interesse daran, auf anderen Instrumenten für andere Musiker*innen zu schreiben. „Es sind beides sehr junge Musiker*innen, da unterscheidet sich die Kommunikation zu meinen gewohnten Formen. Insbesondere habe ich die Spieltechniken für diese traditionellen Musiker im Detail beschrieben.“ Letztendlich hat sie ihre Partitur auch von drei auf zwei Musikerinnen umgeschrieben. Und wie war die Zusammenarbeit im Vergleich zu ihren anderen Projekten? „In den meisten Fällen arbeite ich sehr eng mit den Instrumentalist*innen zusammen, denn die Klangeigenschaften der Instrumente sind nur mit den Musiker*innen wirklich ergründbar“, so Farzia. Eine enge Kommunikation bringt Klarheit und gleichzeitig offenbart sich dadurch die Beziehung der Instrumentalist*innen zum Klang. Und im Vorfeld hat sie über den Workshop auch Vieles erfahren.
Teil dieses Workshops war nicht nur die bloße Vorstellung der Instrumente als Werkzeuge, sondern auch deren kulturelle und historische Einbettung. „Ich kannte die Traditionen sehr wenig. Dabei hat mir dieses Treffen geholfen. Gleichzeitig lernt man sich natürlich als Personen kennen. Oh und die vielen besonderen Namen der Instrumente und Spieltechniken, die wichtig für die Proben sind“, sagt Farzia lächelnd. Ihre Komposition begann mit der Lektüre des Buches „Das chinesische Denken – Inhalt, Form, Charakter“. Dieses Eintauchen in die andere Denkwelt war ein Wegweiser für das Stück und ihrem persönlichen Verhältnis zur Komposition. Diese ist aus einer vielfältigen und vielschichtigen Empfindung heraus entstanden, nicht aus ganz konkreten Gedanken. „Daher ergab und ergibt sich das Stück auch ein bisschen aus sich selbst.“ Der viele Austausch mit ihrem Komponisten-Kollegen CHEN Chengwen, zum Beispiel über den Text im Stück, und mit der Leiterin des Ensembles, Ling-Huei Tsai ergab ein sich immer mehr selbst zusammensetzendes Puzzle. „Dazu kommen die Instrumentalistinnen, die auch Einiges eingebracht haben. Als Beispiel noch einmal die Zirkularatmung: das bedeutet, dass es unerheblich ist, wie lange die Phasen eines Tones sind, denn sie können das potentiell unendlich lange spielen.“ Als weiterer Umstand kam hinzu, dass es eine Weile dauerte, zu akzeptieren, dass es in der Pak-koan Musik keine Noten nach dem üblichen Standard gibt. „Das war für mich sehr spannend. Es gibt in dieser Musik fast nur die Möglichkeit durch Nachspielen zu lernen.“
Herausgekommen ist diesmal ein Stück, das sich gar nicht so sehr auf den Klang stützt als viele ihrer anderen Werke. „Mein Fokus war: ‚Was kann ich zeigen, das noch mit der Tradition zusammenhängt und diese zeigt, aber gleichzeitig nicht die Tradition ist, sondern Etwas, das eben neu komponiert wird.‘ Die Klangbearbeitung liegt auf der Suona, dazu kommen Schlaginstrumente. Und aus dem Gedanken und der Besetzung heraus ist es eine Kreation zwischen dem, was das Schlaginstrument im Traditionellen und im Zeitgenössischen ist. Das heißt zum Beispiel, dass das Schlaginstrument sehr rhythmisch ist, um auf die traditionelle Spielpraxis Rücksicht zu nehmen, wobei ich gleichzeitig nicht exakt die traditionellen Rhythmen übernommen habe.“ Gleichzeitig wollte sie natürlich etwas Neues schaffen, aber eben ohne die Instrumente zu nehmen und völlig zu entwurzeln. „Der Text ist komplett neu. Die Melodie habe ich aus einem der ‚Refined Songs‘ übernommen.“ Es ergibt sich also ein Werk irgendwo in einem Raum zwischen den beiden Dimensionen. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Musikerinnen szenisch im Raum positioniert sind. Die Suona hat sehr wenige Obertöne und ist ein sehr lautes Instrument. Farzia erklärt: „Die Elektronik setzt bei diesem Instrument die fehlenden Obertöne ein, ist gedacht als Klangfarbe der Sona, während sie beim Schlagzeug nur Verstärker ist. Die Technik hat eine weitere Aufgabe: Sie fabriziert die Entfernung im Raum, füllt diesen mit Obertönen.“
Normalerweise komponiert Farzia Fallah viele Instrumentalstücke, weniger mit Elektronik. „In diesem Fall war es dann so, dass das Stück danach auch wieder die Elektronik als Klangfarbe genutzt hat“, so die Künstlerin, „das Stück hat mir das Bewusstsein für die Elektronik und deren Verwendung klarer gemacht.“ Außerdem arbeitete sie zum Zeitpunkt der Entstehung viel mit Raumpositionen, die sich wie erwähnt ebenfalls in „this wet soil in my hand“ wiederfinden. Das Stück ist daher auch eine Begegnung der beiden Musikerinnen.
Darüber hinaus hat Farzia durch die Beschäftigung mit dem Projekt noch einen ganz anderen Unterschied erfahren: „Die wichtigste Erkenntnis des Projekts war für mich sogar noch an ganz anderer Stelle: Mir wurde während des Schreibens und der Lektüre bewusst, dass es die Figur Gott in dieser Denkweise nicht gibt. Das war unglaublich spannend.“ Denn aus den Geschichten ihrer Kindheit in Iran, so erinnert sie sich „kenne ich diese klare Trennung zwischen Gut und Böse. Also das ist dann in den Geschichten oft so, es gibt beispielsweise einen Löwen und einen Affen. Und es ist sofort klar, dass der Löwe das Böse verkörpert und der Affe das Gute.“ Dies sei in den chinesischen Geschichten nicht der Fall. „Mir scheint so, dass dort beispielsweise der Affe weder vollständig gut noch vollständig böse ist. Das schwarz-weiß Denken entfällt und genau dadurch entfällt für mich auch diese Figur ‚Gott‘ als Verkörperung des ‚einen Guten‘, des Fehlens von Fehlern.“ Diese Philosophie durchdringe viele Lebensbereiche, von der Ernährung bis hin zum Sport. „Dafür bin ich sehr dankbar, dass ein mal so mitbekommen zu haben.“
Ebenso wie wir dankbar sind, dass die Komposition durch dieses Projekt entstanden ist. Wir gratulieren Farzia zu ihrem Werk und freuen uns auf weitere Stücke!
 

Fotos: Farhad Ilaghi Hosseini

The fourth composer we would like to introduce in this blog around TRAIECT III - Taiwan is Farzia Fallah. We conducted an interview with her via video call. What was her path as an artist and how did the piece "this wet soil in my hand" come into the form in which it was premiered?

Farzia was born in Tehran and started playing the piano during her school years. After graduating from school, she went to university - but first to earn a bachelor's degree in engineering. "Even at school, I always had a great love for math and physics," she says. But it was through her piano teacher, Ali Gorji, that she then joined the Tehran New Music Group. From her teacher, Alireza Mashayekhi, a composer and one of the founders of the Tehran New Music Group, she learned harmony, counterpoint and many other skills for composition. At the same time, she continued to play the piano intensively. "At some point it was clear that I wanted to continue making music. It was not an easy decision for me; I definitely parted with sadness from studying engineering." But Mashayekhi's zeal and enthusiasm as a teacher convinced Farzia: "Without him, I wouldn't have become a composer, that's very clear. He gave me that motivation." So she went on to study composition in Germany, first in Bremen with Younghi Pagh-Paan and Jörg Birkenkötter. "That was a very important time for me." She then moved to Cologne and then to Freiburg, following her teacher Johannes Schöllhorn. She now lives as a freelance composer.
"Contemporary music as a label for my music was never an issue," Farzia said when asked why she composes in this genre. "I've always composed what I wanted to create and continue to do so - the result is just pieces of new music." At the same time, all her works are connected; she goes into the new pieces with all the experience of past compositions. "Nevertheless, each work is different, of course. Different instrumentation and, above all, a different personality run through the musical thoughts." She cites sound as the focus of her interest. This already brings us to "this wet soil in my hand," because for example this piece also focused on the question of what sounds can be created. That, for example, the circular breathing of the musician results in completely different possibilities than usual. Thus the focus of this piece of art should also remain on the music. "At the same time, the person who creates the sounds brings their own character to the piece," the composer says.
She came to the project out of curiosity, driven primarily by an interest in writing on other instruments for other musicians*. "They are both very young musicians, so the communication is different from my usual forms. In particular, I detailed the playing techniques for these traditional musicians." Ultimately, she also rewrote her score from three to two female musicians. And how did the collaboration compare to her other projects? "In most cases, I work very closely with the instrumentalists* because the sound characteristics of the instruments can only really be fathomed with the musicians", Farzia says. Close communication brings clarity and at the same time reveals the instrumentalists' relationship with sound. And she learned a lot about the workshop beforehand.
Part of this workshop was not just the mere introduction of the instruments as tools, but also their cultural and historical embedding. "I knew very little about the traditions. This meeting helped me with that. At the same time, of course, you get to know each other as persons. Oh, and all the special names of the instruments and playing techniques, which are important for rehearsals", Farzia says with a smile. Her composition began with reading the book "The Chinese Way of Thinking - Content, Form, Character." This immersion in the other world of thinking was a guide to the piece and her personal relationship to her composition. The latter emerged from a diverse and multi-layered sensibility, not from very concrete thoughts. "Therefore, the piece also resulted and results a bit from itself." The many exchanges with her fellow composer CHEN Chengwen, for example, about the text in the piece, and with the ensemble's director, Ling-Huei Tsai resulted in an increasingly self-assembling puzzle. "In addition, there are the instrumentalists, who also brought some things to the table. As an example, circular breathing again: that means that it doesn't matter how long the phases of a note are, because they can play it potentially indefinitely." Another circumstance was that it took a while to accept that there are no notes in Pak-koan music according to the usual standard. "That was very exciting for me. There is almost only the possibility of learning by replaying in this music."
The result is a piece that doesn't rely on sound at all as much as many of her other works. "My focus was, 'What can I show that is still related to and shows tradition, but at the same time is not tradition, but is something that is just newly composed.' The sound treatment is on the suona, plus percussion instruments. And from the thought and the instrumentation, it is a creation between what the percussion instrument is in the traditional and in the contemporary. That means, for example, that the percussion instrument is very rhythmic, to be considerate of the traditional playing practice, while at the same time I didn't exactly adopt the traditional rhythms." At the same time, of course, Farzia wanted to create something new, but just without taking the instruments and completely uprooting them. "The lyrics are completely new. The melody I took from one of the 'Refined Songs.'" So it results in a work somewhere in a space between the two dimensions. Another unique feature is that the musicians are positioned scenically in the concert room. The suona has very few harmonics and is a very loud instrument. Farzia explains, "In this instrument, the electronics fill in the missing harmonics, is meant to be the sonic color of the sona, while in the percussion it is only an amplifier. The technology has another task: it fabricates the distance in space, fills it with harmonics."
Usually Farzia Fallah composes instrumental pieces, less with electronics. "In this case, it was then that the piece also used electronics as a timbre again afterwards," she says, "the piece made me more aware of electronics and how to use them." She also worked a lot with spatial positions at the time of its creation, which, as mentioned, can also be found in "this wet soil in my hand." The piece is therefore also a meeting of the two musicians.
In addition, Farzia has experienced a completely different difference through her involvement with the project: "The most important realization of the project for me was even in a completely different place: I became aware during the writing and reading that the figure of God does not exist in this way of thinking. That was incredibly exciting." Because from the stories of her childhood in Iran, she recalls, "I know this clear separation between good and evil. So that's often the case in the stories, for example, there's a lion and a monkey. And it's immediately clear that the lion embodies evil and the monkey embodies good." This is not the case in Chinese stories, she says. "It seems to me that there, for example, the monkey is neither completely good nor completely evil. The black-and-white thinking is omitted, and precisely because of that, for me, this figure of 'God' as the embodiment of the 'one good,' the absence of flaws, is also omitted." This philosophy permeates many areas of life, from diet to sports. "For that, I'm very grateful to have witnessed it once like that."
Just as we are grateful that the composition came about through this project. We congratulate Farzia on her work and look forward to more pieces!
 

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